Ende
Gelände
2018


Kohle stoppen. Klima schützen.

Interview Helena

Ich habe bei Ende Gelände mitgemacht, weil ich finde, dass mit dem Thema Klimagerechtigkeit sehr gut vermittelbar ist, warum Kapitalismus nicht funktioniert. Ich finde es wichtig, dass Aktionen auch für nicht linksradikale Leute verständlich gemacht werden. Ich wurde unter anderem durch die Kampagne und Aktion “Castor Schottern” politisiert. Castor Schottern war meine erste Aktion, die mir richtig viel Kraft gegeben hat und mich davon überzeugt hat, dass ich politisch aktiv sein will. Dann war ich länger in anderen Kontexten aktiv. Bei Ende Gelände fand ich die Aktionsform auch einfach sehr ansprechend, weil sie es neuen Leuten ermöglicht hat mitzumachen. 2015 war für mich eine der selbstermächtigensten Erfahrungen, die ich gemacht habe.

Mit dem Grundgerüst von Aktionen Zivilen Ungehorsams habe ich Erfahrung. Ich weiß, dass es mir gut tut, verschiedene Szenarien vorher mit meiner Bezugsgruppe durchzusprechen, um grob abschätzen zu können, was eventuell auf mich zu kommt. Ich habe schon vor Ende Gelände bei verschiedenen Aktionen zivilen Ungehorsams mitgemacht und da auch Polizeirepressionen in Form von körperlicher Gewalt und ID-Behandlung erfahren. Alles worauf ich mich gut vorbereitet hatte, ist dann auch bei Ende Gelände 2016 gut gelaufen.

Aber ab dem Zeitpunkt, an dem ich in Gewahrsam genommen wurde, hatte ich das Gefühl, Situationen nicht mehr richtig einschätzen zu können und die Kontrolle zu verlieren. Unter anderem konnte ich mich nicht auf die juristischen Informationen verlassen, mit denen ich mich vorher auseinandergesetzt hatte. Ich dachte zu wissen, dass ich nur 12 Stunden in Gewahrsam genommen werden kann, aber dieser Zeitraum wurde dann einfach überschritten. Die Situation war damit so wenig einschätzbar und kontrollierbar. Im Knast wurden Leute dann nicht auf Toilette gelassen, nach über 15 Stunden hat wir immer noch kein Essen. Wir waren auf so engem Raum zusammengepfercht, dass es keine Möglichkeit gab, sich mal hinzulegen. Ich habe daher die ganze Nacht durchgemacht und keine Stunde geschlafen. Die Luft war außerdem total schlecht. Auch unsere eigenen Rechtshilfe-Strukturen waren überfordert und konnten uns nicht richtig helfen. Nichts, von dem ich dachte, worauf ich mich verlassen kann, hat funktioniert.

Dieser Kontrollverlust war die schwierigste Erfahrung bei der Aktion. Was mir aber sehr geholfen hat damit umzugehen, war ein starkes gemeinsames Gefühl und die gegenseitige Unterstützung der anderen Menschen, mit denen ich in einer Zelle saß. Dass wir uns gemeinsam nicht unterkriegen lassen haben, auch wenn wir eigentlich alle keinen Plan hatten, was auf uns zukommt. Wir halten zusammen und unterstützen uns gegenseitig. Es hat gut geklappt, dass wir uns nicht den Kopf darüber zerbrochen haben, ob ein Spitzel dabei sitzt, sondern wir uns erst mal untereinander vertraut haben. Auch wenn wir natürlich nicht über sicherheitsrelevante Sachen geredet haben. Wir haben darüber gesprochen, wie es uns gerade in der Situation geht, haben zusammen Stretch-Übungen gemacht und wir haben viel gesungen. Wir haben uns gegenseitig Lieder beigebracht und fast durchgängig gesungen. Gerade das Singen war für mich total bestärkend, es hat durch den ganzen Knast gehallt. In dem Moment haben wir uns stark gefühlt und es war ein bewegendes Gefühl, wenn wir dann die Leute in den anderen Zelle mitsingen gehört haben, obwohl wir sie nicht sehen konnten.

Es waren total widerständige Leute dabei, die sich die Kontrolle genommen haben, obwohl sie die faktisch nicht hatten. Aber schon, dass sie so getan haben, als ob sie sie hätten, hat mir Kraft gegeben. Dieses sich nicht unterkriegen lassen und nicht einfach zu kuschen, sondern Rabatz zu machen und laut zu sein, war gut. Niemand hat geweint, obwohl glaube ich alle total fertig waren. Auch mir selbst war klar: Ich will in dieser Situation keine Schwäche zeigen. Das hat dann auch in der Situation irgendwie funktioniert. Ich habe mir selbst gesagt, dass ich stark bin und das irgendwie hinkriege und das hat dann auch dazu geführt, dass ich es war. Während der Zeit im Gewahrsam war ich eigentlich nicht schlecht drauf. Ich hatte zwar keine Kontrolle mehr, aber dafür hatte ich dieses starke “Wir stärken uns gegenseitig” -Gefühl. Wir haben Humor bewahrt und uns darüber lustig gemacht, was passiert, obwohl es ja eigentlich überhaupt nicht komisch war. Leute, die nicht aufs Klo gelassen wurden, haben durch den Gang gebrüllt, dass sie jetzt endlich ihren Tampon wechseln müssen oder sonst alles voll bluten werden. Die lustige Stimmung, die Provokationen und die gespielte Stärke haben uns selbst auch irgendwie überzeugt.

Ich habe in der Situation gar nicht richtig gemerkt, was das für mich für ein Stress war, ich war eigentlich relativ solide und gut drauf. Aber ab dem Zeitpunkt, an dem ich wieder auf dem Camp war und einen sicheren Rahmen hatte, ist alles aus mir herausgeplatzt. Die ersten Tage danach war ich permanent am heulen, hatte viele Träume, in denen mich die Erfahrung beschäftigt hat und war ganz schön fertig. Es war auch sehr wichtig, dass meine Freund*innen vor dem Knast auf mich gewartet haben und ich gemerkt habe, dass ich mich auf sie verlassen kann und sie für mich da sind. Aber ich wollte die ganzen Leute, die sich Sorgen um mich gemacht haben, dann nicht noch dadurch belasten, dass ich ihnen zeige, wie schlecht es mir geht. Da war es gut, dass Out of Action auf dem Camp war und mir da eine Person zugehört hat, die nicht persönlich mitleidet, der ich einfach erzählen kann.

Vor allem mit Leuten, mit denen ich die Erfahrung geteilt hatte, konnte ich danach gut reden, weil ich das Gefühl hatte, sie verstehen wirklich, was ich meine. Bei anderen war es teilweise schwierig zu vermitteln, wie sehr mich die Erfahrung mitgenommen hat. Ich fand es gut, wenn Leute in Momenten in denen es Zeit gab, nachgefragt haben. Ich fand es schwierig, wenn ich das Gefühl hatte pathologisiert zu werden. Wenn jemand total geschockt davon war, dass mich die Erfahrung “so sehr” mitgenommen hat, war es für mich wichtig mich nicht selbst zu hinterfragen, sondern meine Reaktionen als normale Reaktionen auf eine solche Gewalterfahrung zu begreifen. Da war Out of Action auch nochmal gut. Ich habe mich mehrere Monate nach der Aktion noch mal mit ihnen getroffen. Sie haben mir klar gemacht, dass ich nicht unnormal reagiere und es vielen Leuten so geht, ich also nicht damit alleine bin.

Für mich war es wichtig, mir Raum dafür zu nehmen, die Erfahrung zu verarbeiten. Das hat ganz schön viel durcheinander gebracht, damit musste ich einen Umgang finden. Ich musste mich erst mal selbst überzeugen , dass das auch in Ordnung ist. Was für mich total krass war, oder auch immer noch ist, ist, dass ich nicht mehr auf Aktionen gehen kann. Wegen einer diffusen Angst, die immer noch da ist. Für mich ist das Dabei sein auf Aktionen fester Bestandteil meiner Identität. Dass das nicht mehr funktioniert hat und ich gemerkt habe, dass die Repressionen ihre erwünschte Wirkung erzielen, das fand ich sehr schwer hinzunehmen.

Dafür war es für mich wichtig, mir selbst diesen Druck zu nehmen. Selbst wenn ich jetzt erst mal nicht auf Aktionen dabei bin, heißt das nicht, dass es irgendwann nicht wieder funktioniert. Ich habe versucht meinen Fokus zu verschieben und mich zu fragen, inwiefern meine Erfahrung auch eine wertvolle Erfahrung war, ich neue Sachen gelernt oder neue Blickwinkel dazugewonnen habe. Ich habe versucht, meine negativen Erfahrungen in lehrreiche Erkenntnisse umzuwandeln: Was ist in Zukunft wichtig, dass es besser funktioniert? Was kann ich für die Organisierung von zukünftigen Aktion mitnehmen? Wie kann man Leute in Zukunft besser vorbereiten? Wie kann ich das, was gut geklappt hat, mitnehmen und mit anderen teilen?

Diese Fokusverschiebung hat mir geholfen. Mein Selbstbild war vorher das einer Aktivistin, die immer auf Aktionen dabei sein muss und daraus viel Selbstbestärkung mit nimmt. Ich kann aber auch gut Plena moderieren oder meine Erfahrungen im Prozess mit einfließen lassen. Um eine Aktivistin zu sein, muss ich nicht bei jeder Aktion dabei sein. Ich habe jetzt vielleicht mehr eine Orga-Rolle als eine Mitrenn-Rolle.

Ich lege jetzt noch mehr Wert darauf, aufeinander achtzugeben und aware zu sein, was mögliche Schwierigkeiten sein können. Ich finde es noch wichtiger, dass im Vorfeld von Aktionen gute Antirepressionsarbeit aufgestellt wird. Ich nehme mit, dass es wichtig ist, vor dem Knast präsent zu sein, wenn Leute in Gewahrsam genommen wurden. Und da zu sein, wenn sie raus kommen.

Ich bin im Urlaub letztens zufällig in eine Demo am Frauenkampftag gestolpert. Das war das erste Mal, dass ich seitdem wieder mit einem guten Gefühl auf einer Demo war. Es war ein wahnsinnig bewegender Moment, plötzlich wieder dabei zu sein. Sie fehlen mir, diese selbst-ermächtigenden Momente. Ich war zu Tränen gerührt, dass es eine so starke Demo gab und dass ich wieder dabei war. Ich hatte das Gefühl, einen Teil von mir zurück zu erlangen. Ich bin gespannt, wie das jetzt in Zukunft läuft und habe vor, mich langsam wieder ranzutasten. Vielleicht nicht direkt voll einzusteigen, aber zu gucken, wie ich es wieder hinkriegen kann, an Aktionen teilzunehmen. Ich will mich nicht unterkriegen lassen. Es ist für mich ok, mir Zeit zu nehmen und zu akzeptieren, dass Repression etwas mit mir macht, das ist in Ordnung. Aber langfristig habe ich das Ziel, dass das nicht funktioniert.