Ende
Gelände
2018


Kohle stoppen. Klima schützen.

Interview Jonas

Ich hab eigentlich vor Ende Gelände keine Klimapolitik gemacht, wenn dann waren es so individuelle Verhaltensänderungen. Ich habe oft versucht Leute davon überzeugen, dass Klima ein total relevantes Thema ist und dass da auf Regierungsebene gar nichts passiert. Und dann war Ende Gelände einfach eine sehr konkrete Möglichkeit, mit anderen Leuten zusammen was dagegen zu machen was sichtbar ist und direkt sichtbar ist und auch andere Leute verstehen.

Ich find auch Widerstand, der über Sabotage geht total gut, es muss aber auf jeden Fall auch Sachen geben, wo Leute mitmachen können, die noch noch nicht so viel politische Erfahrung haben. Und als ich dann beim ersten Mal im Rheinland dabei sein konnte, war das für mich eine der besten politischen Erfahrungen der letzten Jahre.

Viele andere politische Sachen, die ich mache, sind eher so ein Abwehr-Ding: Zu versuchen zu verhindern, dass die Nazis irgendwo ne Demo machen, dass man so auf Sachen reagiert. Jetzt gibts die nächste Asylrechtverschärfung jetzt demonstrieren wir dagegen und da bei Ende Gelände hab ich das Gefühl, es bringt diesen Braunkohleausstieg selber aufs Tableau und geht da nen Schritt nach vorne und sagt: „Hey wir müssen jetzt da weitermachen, wir dürfen jetzt nicht aufhören beim Atomausstieg“.

Ich hatte schon mit zivilem Ungehorsam Aktionserfahrung, über Dresden Nazifrei und Blockupy, aber das Setting der Kohlegrube war natürlich total neu für mich. Wir sind mit zwei Bezugsgruppen, die sich kannten und die lose koordiniert waren los Richtung Grube mit dem Finger. Das war total gut: Es wurde so langsam hell, man hat diese riesen Schlange an Leuten gesehen und es war ein gutes Gefühl zu wissen: Ich mache jetzt mit diesen ganzen Leuten zusammen was dagegen, ich bin jetzt nicht alleine. Wir sind dann erstmal recht lange gelaufen. Es gab eine Polizeisperre wo wir nicht durch gekommen sind, es auch gar nicht richtig probiert haben.

Später gab es dann eine Baustelle von einer Autobahnbrücke und da waren nur so zwei Polizisten und eine Wanne und da konnten wir ziemlich gut durchfluten. Aber das hat dann leider aber auch dazu geführt, dass die Polizisten ziemlich gewalttätig geworden sind, sehr stark Pfefferspray und ihre Schlagstöcke benutzt haben. Aus meiner Sicht total unverständlich, denn es war klar, dass die uns nicht aufhalten können. Ich habe auch aus der Polizeilogik heraus nicht verstanden, warum die das gemacht haben, denn es hat für ihr Ziel, uns am Betreten der Grube zu hindern, nichts gebracht.

Das hat dann auch dazu geführt, dass Leute aus unserer assoziierten Bezugsgruppe Pfefferspray abbekommen haben. Für die war das das erste Mal und das war dann auf ein Mal sehr viel Stress. Da war ich ziemlich unsicher, wie ich damit umgehen soll. Einerseits finde ich es wichtig, in der Bezugsgruppe solidarisch zu sein und sich umeinander zu kümmern und auch zusammen raus zu gehen, wenn jemand nicht mehr weiter kann. Andererseits wollte ich die Aktion auch nach Außen erfolgreich durchzuziehen und weitergehen. Es gab zudem auch gar keine Zeit, diesen Konflikt richtig zu lösen, weil es dann einfach weitergehen musste. Wenn die jetzt gesagt hätte, dass sie aufhören wollen, hätte ich das auch gemacht, aber es wäre frustrierend für mich gewesen.

Neben dem Pfefferspray-Ding war noch eine andere Sache, die krass war. Ein Mensch, den ich auf einem Aktionstraining zwei Wochen vorher in Berlin kennengelernt hab, war da. Mir war beim Training aufgefallen, dass er sehr unsicher war, er hat gesagt, das er das erste Mal auf eine größere Aktion fährt. Er hatte gesagt, dass das Aktionstraining total gut für ihn war und ihm total Lust auf die Aktion gemacht hat.

Ich hab ihn dann bei der Aktion das erste Mal gesehen, wie er dann da nach dieser Autobahnstelle den Abhang runterkommt eine Platzwunde im Gesicht hat, und total blutüberströmt ist. Ich war erstmal voll wütend auf die Polizei: „Was soll das jetzt?“. Wir haben dann versucht ihn zu beruhigen und dann wurde ein Krankenwagen gerufen. Dann ist ein Geländekrankenwagen gekommen und ich dachte: „Das ist einfach ne riesengroße Scheiße!“.

Auch allein der Faktor von Blut, dass man Blut fließen sieht, das war schon was, was mich schockiert hat, aber gleichzeitig hat sich auch der Finger wieder formiert und es musste dann irgendwie weiter gehen. Das war auch ein Moment wo ich dann dachte „Ich will jetzt auch weiter. Jetzt erst recht!“ Es ist jetzt auch wichtig, dass wir unser Ziel durchsetzen. Auf der anderen Seite geht es dieser Person gerade richtig Scheiße. Sie hatte aber auch Leute aus ihrer Bezugsgruppe da und es ist dann alles ganz gut gelaufen. Ich habe ihn dann später im Camp auch noch mal wieder getroffen. Da wirkte er einigermaßen gefasst, aber das war erstmal schon so ein richtiger Schock.

Und dann sind wir eigentlich relativ gut in die Grube gekommen. Das ist ja auch das schöne an der Kohlegrube, dass man diese 5-Finger-Taktiv mit dem Polizeiketten aufziehen und dann durch schlüpfen ziemlich gut machen kann, weil da viel Platz ist. Zweimal sind wir dann noch durch Polizeiketten durch. Beim zweiten Mal ist die eine Hälfe vom Finger hängen geblieben und die andere Hälfte ist durchgeschlüpft. Da war ich dann auch Richtung Bagger gekommen.

Da hat sich das als voll gut erwiesen, dass wir zwei Bezugsgruppen waren. Denn die eine Hälfte der Bezugsgruppe ist hängen geblieben und wir haben uns dann neu formiert. Das war für eine Person aus der anderen Gruppe total gut, denn deren Buddy ist hängen geblieben und sie war so „Oh Scheiße, was passiert jetzt?“ Dann waren wir ziemlich lange am Bagger und das war auch total der Erfolg und ein gutes Gefühl.

Irgendwann wurden wir aber auch müde. Da war die ganze Zeit immer schon Wachschutz von RWE, der da so rumgefahren ist und wir haben uns gefragt, wann die Polizei kommt. Und eine Sache noch, das war dann glaube ich als wir durch die letzte Kette durch waren. Da kam so ein Laster von RWE mit ziemlich großer Geschwindigkeit auf uns zu gefahren. Und wirklich so, dass wir im letzten Moment noch so weg springen mussten. Ich glaube nicht, dass der uns verletzen wollte, oder ich hoffe es zumindest nicht. Ich habe das schon als eine deutliche Drohung wahrgenommen. Das war noch mal eine neue Erfahrung, dass eine Repressionsgefahr nicht nur von der Polizei kommen muss, sondern von anderen Akteuren, in dem Fall von Teilen von den RWE-Mitarbeitern. Wobei die teilweise auch sehr entspannt waren, ich will die gar nicht alle in einen Topf werfen.

Irgendwann war dann die Polizei da und es war zunächst alles auch relativ entspannt. Wir sind nicht freiwillig weggegangen, sondern haben uns dann wegtragen lassen. Das für mich persönlich dann die nächste Gewalterfahrung, weil ich mir vorher vorgenommen habe, dass ich den Polizisten sage, dass ich nicht will, das sie mich anfassen. Das ist ja bisschen so eine Routine, aber eigentlich ist es etwas, dass ich nicht will. Meiner Meinung nach haben sie nicht das Recht, mich einfach anzufassen und so nen Zugriff auf meinen Körper zu haben.

Also habe ich denen, als sie mich wegtragen wollten, deutlich gesagt, dass ich das nicht will. Und das ich sie nicht anerkenne und das Gewaltmonopol, was sie da vertreten nicht anerkenne. Da hat dann – zumindest interpretiere ich das so – ein Polizist sehr krass drauf reagiert und hat mich dann mit vielen krassen Schmerzgriffen so weg geschliffen. So dass ich irgendwann meinte „Ok, ich stehe einfach auf und laufe“. Ich vertrete da meine Position und als Reaktion kommt der Versuch, mich zu demütigen. Einfach mit diesen Schmerzgriffen, die einfach sau weh tun, die man danach aber nicht sieht, wo keine blauen Flecken zurück bleiben, um mich in die Knie zu zwingen. Das war eine sehr unangenehme Erfahrung mit dem einen Polizisten.

Es ist für mich sehr wichtig, diese Sachen Leuten zu erzählen, die bei der Aktion auch dabei waren. Wenn ich das jetzt meinen Eltern erzählt hätte, die können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, dass ein Polizist so was macht wie jemandem eine Platzwunde schlagen. Und kennen auch einfach nicht die Erfahrung früh aufstehen-weißen Anzug anhaben-durch die Felder laufen-in ner Kohlegrube sitzen, deswegen war das für mich voll der zentrale Punkt – mit Leuten darüber zu reden, die bei der Aktion dabei waren.

Wir haben dann in meiner Bezugsgruppe an dem Abend noch sehr lange geredet. Das war voll gut. Sowohl auf einer politischen Ebene „Aha, wir sind in die tagesschau gekommen, voll gut“ aber auch einfach unsere Erfahrungen berichtet und dass war ne gute Möglichkeit Frust loszulassen und diese Stories das erste Mal zu erzählen. Das mit dem Lastwagen, den Schmerzgriffen, der Platzwunde. Dann haben wir auch noch mal überlegt wir gucken noch mal ob wir den mit der Platzwunde treffen und sprechen ihn drauf an und fragen ihn, ob er noch Unterstützung braucht.

Ich hab ihn dann auch am selben Abend wieder getroffen und war total erleichtert, dass er nicht mehr im Krankenhaus war. Ich hatte den Eindruck, dass es ihm eigentlich ein bisschen unangenehm war, durch diese Wunde eine prominente Stellung zu haben und wusste gar nicht, ob er das jetzt so cool findet, wenn ich ihn darauf anspreche. Ich habe ihm dann noch meine Handynummer gegeben, weil wir aus der selben Stadt sind und ihr von Out of Action erzählt. Er meinte aber, das er das gar nicht so braucht. Ich habe ihn ganz anders erlebt als am Anfang vom Aktionstraining, das wir zuhause zusammen gemacht haben. Nach der Aktion wirkte er sehr stark auf mich, das fand ich total spannend, dass hatte ich nicht erwartet. Wenn ich mich in der Situation vorstelle, hätte ich vielleicht eher gedacht, dass ich voll am zweifeln bin und vielleicht auch Ende Gelände den Vorwurf mache „Hey, ihr habt mich auf die Aktion geschickt und ich hätte gar nicht gedacht, dass so was passiert!“ Aber es war eher so, dass sie eine Stärke ausgestrahlt hat, das fand ich beruhigend.

Es ist mir total wichtig, dass wir uns trotz der Angriffe vom Staat und der Polizei nicht unterkriegen lassen. Und viele Möglichkeiten haben, in uns selbst damit gut umzugehen, was er ja anscheinend ganz gut geschafft hat, mithilfe der Bezugsgruppe und Out of Action. Und dann natürlich auf der rechtlichen Ebene Anti-Rep Teams haben, wo auch irgendwie paradoxerweise Repressionserfahrungen auch immer eine Möglichkeit sind, nochmal Stärke zu gewinnen, obwohl sie ja eigentlich sehr verletzend sind. Ich habe dann später auch mit meinem Mitbewohner viel reflektiert. Es gab immer wieder Situationen, wo wir darüber geredet haben, wie es für uns war und ob wir uns in bestimmten Situationen richtig verhalten haben.

Insgesamt bin ich sehr empowered da raus gegangen, auch alleine wegen dem politischen Erfolg und weil die positiven Erlebnisse überwogen haben. „Nice, es gibt Leute die überlegen sich ne geile Aktion, da kann man gut mitmachen, ist gut vorbereitet, versucht alle Leute mitzunehmen und es ist auf nem Level was wirklich Ziviler Ungehorsam ist und was nicht sinnlose Gewalt ist.

Dadurch, dass einige Leute, die im Rheinland unterwegs waren dann auch mit in die Lausitz gekommen sind, konnten wir die Erfahrung mitnehmen. Was ich jetzt nicht noch mal machen würde, ist die Kommunikation mit der Polizei, dass ich nicht will, dass sie mich anfassen. Das war einfach ne Scheiß Situation, wo ich mir unsicher bin, ob es das wert ist.

Eine andere spannende Sache, die ich bei Ende Gelände das erste Mal so mitbekommen habe war die Ideen, den Personalausweis nicht mitzunehmen, um dem Staat die Möglichkeit einer juristischen Repression zu nehmen. Da hatten wir auch in unserer Bezugsgruppe viele Diskussionen, ob wir jetzt den Perso oder andere Dokumente, mit denen man uns identifizieren kann, mitnehmen. Wir haben das auf ganz unterschiedlichen Leveln gelöst. Es gab ein paar Leute die haben ihren Perso nicht mitgenommen, ein paar Leute haben andere Dokumente irgendwo versteckt. Ich hatte meinen Perso einfach dabei, weil ich mir das nicht vorstellen konnte, noch 24 Stunden in einer GeSa zu sitzen. Das ist mir früher beim plakatieren in meiner Heimatstadt schon mal passiert. Das war eine sehr miese Erfahrung, als sie mich da in die GeSa gesteckt haben.

Wir wurden dann kontrolliert, meine Personalien wurden aufgenommen und das hat dazu geführt, dass ich jetzt eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch habe und eine Unterlassungserklärung von RWE. Ich soll nie mehr deren Gelände betreten, sonst muss ich mehrere zehntausend Euro Strafe bezahlen. Also völliger Wahnsinn, der aber anscheinend juristisch geht, ich verstehe nicht wie sowas legal sein kann! Wir haben uns dann vorgenommen, dass wir beim nächsten Mal die Ausweise nicht mitnehmen, wenn das möglich ist. Bei dem ganzen juristischen Kram ist jetzt noch nicht viel relevantes passiert, aber es ist einfach immer etwas, das über einem hängt und das man organisieren muss. Es nimmt ganz banal einfach Zeit und Energie, die ich sonst in anderen politische Sachen stecken könnte. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich meinen Perso mitgenommen habe. Ich weiß, dass das eine große Debatte ist und ich kann nicht abschätzen, was das langfristig für Folgen hat, wenn das viele Leute machen, für mich persönlich wäre es aber einfach total sinnvoll gewesen, keine Personalien anzugeben. Dann hätte ich mir den ganzen Stress mit Hausfriedensbruch und Unterlassungserklärung sparen können.

Für mich ist eine Lehre daraus ist für andere Aktionen, dass ich es super wichtig finde, gerade bei Aktionen die länger sind, das man sich viel Zeit nimmt und vorher viel bespricht. Deswegen ist für mich eine intensive Vorbereitung in einer Bezugsgruppe für mich total zentral. Auch mit dem Buddy, also der Person mit der man unterwegs ist, weil man auf der Aktion einfach oft innerhalb von einer Minute entscheiden muss.